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Leseprobe Walter Weil
Die Klinge des Löwen Band 3:
Der Slawensturm
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit fand er sich wieder auf der Ortenburg ein. Er war entspannt und guter Dinge, wie lange nicht mehr. Als er sich aus dem Sattel schwang, trat Anselm Hutter eilig aus einem der Ställe, daß es Dietrich so vorkam, als habe der Kämmerer auf ihn gewartet. "Habt Ihr Euch eine neue Tätigkeit als Roßknecht gewählt, Anselm?" scherzte Dietrich, während er eigenhändig den Sattelgurt öffnete, den schweren Sattel von Titus' Rücken hob und ihn zu Boden gleiten ließ. Mittlerweile war der Kämmerer nahe an ihn herangetreten, und Dietrich musterte forschend Anselm Hutters Gesicht, dessen bedrückte Miene ihn befremdete. "Nein, Herr Dietrich, zu schwerer Stallarbeit taugen meine morschen Knochen wohl nicht. Die Herrin hat mich lediglich gebeten, die Leute hier zu beaufsichtigen, bis Ihr zurück seid." "Euch hat sie gebeten?" wunderte sich Dietrich. "Dafür ist doch Giselbert da. Wo steckt er eigentlich - ich suchte ihn schon um die Mittagszeit vergeblich." "Ja, nun, Herr Dietrich, es ist...wie soll ich sagen..." entgegnete der Kämmerer umständlich und zögernd, so daß Dietrich jetzt doch stutzig wurde. "Nun faßt Euch und sagt mir, was zu sagen ist, mich kann heute nichts mehr erschüttern!" versuchte Dietrich den Älteren zu ermuntern. Allerdings schwand seine gute Laune. Er ahnte, daß ihm offenbar neues Ungemach bevorstand. Nervös löste er Zaumzeug und Zügel von des Rappen Kopf. Das ging aber nicht so einfach, weil der Rappe spürte, daß sein Herr ihn nicht mit der gewohnten Rücksicht anfaßte, und so ging das Roß unwillig ein, zwei Schritte rückwärts. "Steh still, Teufelsbraten!" murmelte Dietrich ergrimmt, aber der Hengst riß den Kopf hoch und schnaubte empört. "Ja, ja, ich weiß", murmelte Dietrich begütigend, "du bist eine sanftere Behandlung gewöhnt!" Statt zu reden, hatte Anselm sich umgedreht, während Dietrich sich mit seinem Pferd beschäftigte, und zwei Stallknechte gerufen. Als diese dann endlich samt Roß, Sattel und Zaumzeug in den Ställen verschwunden waren, nahm der Kämmerer den jungen Ritter am Arm und zog ihn von den Gebäuden weg in den Burghof, der notdürftig durch einige Fackeln erhellt wurde. "Es braucht nicht jeder zu hören, was ich Euch zu berichten habe", sagte er leise. Als sie nahe bei dem Brunnen mitten im Hofe standen, sah Dietrich dem Kämmerer forschend ins Gesicht. "Nun, was gibt es Geheimnisvolles?" Anselm Hutter kratzte sich, wie es Dietrich vorkam, verlegen hinter dem Ohr, ehe er mit der Sprache herausrückte. "Also, um es kurz zu machen - Giselbert werdet Ihr leider ein paar Tage entbehren müssen!" "Wieso? Was soll das heißen?" Dem Alten war offenbar sehr unbehaglich zumute, denn er schien nach Worten zu suchen, so daß Dietrich ihn schließlich ungeduldig anfuhr: "Mensch, Anselm, laßt Euch nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen! Sagt endlich, was während meiner Abwesenheit hier geschehen ist!" "Ach, Herr Dietrich, es ist so, daß Giselbert befohlen wurde, zusammen mit fünf unserer Waffenknechte die Zofe Bertha und den kleinen Bernhard sicher zur Kastelburg zu bringen." Dietrich trat verblüfft einen Schritt zurück. "Höre ich recht - sechs Mann? Wer hat das befohlen?" "Na, die Gräfin", entgegnete der Kämmerer mit leiser Ironie. Er hatte sich, nachdem die Botschaft jetzt heraus war, wieder gefangen und seine anfängliche Unsicherheit abgelegt. "Wie mir Giselbert erklärte, ehe sie aufbrachen, will Ida ihr Kind in Sicherheit wissen, falls die Slawen uns hier angreifen." Dietrich fühlte, wie es in ihm zu kochen begann. "Warum hat Giselbert mir nichts davon gesagt? Macht hier allmählich jeder, was er will?" Anselm Hutter hob die Achseln. "Je, nun, Ihr wart ja nicht da. Er hat Euch gesucht. Wahrscheinlich wollte er wissen, ob der Auftrag in Ordnung geht. Ihn trifft keine Schuld." Dietrich wurde nachdenklich. "Du hast wahrscheinlich recht." Inzwischen war es dunkel geworden. Dietrich ging mit auf den Rücken gelegten Händen gedankenvoll hin und her, während die an der Frontseite des Palas in ihren eisernen Haltern brennenden Fackeln den Platz in ein ungewisses Licht tauchten und unruhige Schatten hervorriefen. Schließlich hatte er einen Entschluß gefaßt und blieb vor dem Kämmerer stehen. "Es ist gut, Anselm, ich werde mich kundig machen, warum die Gräfin ausgerechnet jetzt unsere wehrfähige Burgmannschaft um ein halbes Dutzend Krieger entblößt hat." Damit entfernte er sich grußlos und begab sich mit grimmiger Laune in den Palas, wo er geradewegs auf Idas Kemenate zusteuerte. Ehe die beiden Pagen, die sich wie immer vor der Tür aufhielten, den Mund aufmachen konnten, um ihn nach seinen Wünschen zu fragen, hatte er sie grob beiseite geschoben, pochte kurz, aber kräftig, an die Tür und riß sie auf. Er sah im Schein mehrerer brennender Kerzen, daß Ida irgendeine Stickarbeit auf dem Schoß liegen hatte und ihn mit offenem Mund überrascht anstarrte, während zwei Kammerfrauen zu ihren Füßen auf Kissen kauerten und einen ebenso verdutzten Eindruck machten wie ihre Herrin.
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