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Leseprobe Walter Weil Die Klinge des Löwen Band 1:
Gefährliche Reise
„Mannen“, fuhr Dietrich fort, wobei er das blinkende Schwert senkte, „wir haben auf dieser Reise, die ja mehr einer Flucht gleicht, alle bisherigen Zusammenstöße mit dem Feind siegreich bestanden. Nun aber fällt wohl die Entscheidung - entweder es gelingt uns, Gräfin Ida, ihr Kind und die Zofe zu befreien...oder wir werden tot sein!“ Roland hatte rote Ohren bekommen, denn er war mächtig stolz darauf, daß sein Herr ihn in den Begriff „Mannen“ einbezogen hatte. Die düsteren letzten Worte Dietrichs nahm er in jugendlicher Unbekümmertheit nicht sonderlich ernst. „Ich habe genügend Pfeile im Köcher, um die Feinde niederzustrecken!“ sagte er keck. „Du bleibst besser bei den Pferden. Deine Pfeile nützen uns hier im Wald nichts!“ entfuhr es Dietrich völlig unfeierlich. Als er jedoch Rolands betroffene Miene sah, tat ihm seine schroffe Antwort leid, besonders angesichts der Zeremonie, mit der er kurz zuvor den Knappen so beeindruckt hatte. Rasch bemühte er sich, ihn wieder aufzumuntern, wobei er seine Nachgiebigkeit jedoch hinter ernsten Worten versteckte. „Nicht daß du meinst, du kannst nun hier Däumchen drehen. O nein, wir brauchen dich als Rückendeckung. Du mußt von deinem Platz aus beobachten, was geschieht. Aber bleibe in deinem Versteck und halte den Hund zurück. Im äußersten Notfall darfst du sogar deinen Bogen benutzen. Hast du mich verstanden?“ Verlegen lächelnd, aber mit vor Stolz rotem Gesicht nickte Roland eifrig. „Ich werde Euch nicht enttäuschen!“ Dietrich sah ihn nachdenklich an. „Paß gut auf dich auf, mein Junge!“ Dann verstummte er und lauschte. Die lauter werdenden Geräusche der sich durch das Unterholz arbeitenden ahnungslosen Entführer und ihrer Opfer ließen keinen Zweifel daran, daß die Gruppe sich näherte. Er wandte sich Giselbert zu. „Komm, es wird Zeit, unsere Posten zu beziehen! Wir wollen den Schurken aufwarten, daß sie meinen, die Hölle habe sie verschluckt!“ Ein grimmiges Lächeln überzog Giselberts Gesicht. „Bei diesem Tanz bin ich gerne dabei, Herr!“ Sachte bewegten sie sich hintereinander am östlichen Rande der Lichtung entlang zum Berg hin. Nach etwa hundert Schritt blieb Dietrich stehen und lauschte. Giselbert war dicht an seiner Seite. Roland war inzwischen dabei, die Pferde etwas tiefer in den Wald zu führen. Er wollte sichergehen, daß kein unberufenes Auge sie zu früh entdecke. Greif befahl er, sich niederzulegen und sich ruhig zu verhalten. Der Hund folgte sichtlich widerstrebend diesem Befehl. Mit geöffneter Schnauze und heraushängender Zunge schien es, als lachte er über diese Zumutung, die ihm angesichts der fühlbaren Gefahr wohl mehr als sonderbar erschien. Anschließend schloß der Knappe eine Strecke weit zu seinem Herrn und dessen Waffenknecht auf. Er versteckte sich in Sichtweite der beiden hinter einer mächtigen Pappel nahe der Linie, wo der Wald so unvermittelt aufhörte. Von dort hatte er einen guten Überblick sowohl über das Waldgelände, wo sie die Entführer der Gräfin erwarteten, als auch über die freie Fläche, die still und friedlich dalag. Roland war jetzt doch etwas aufgeregt. In der kommenden Begegnung mit den Feinden würde es zu einem Kampf auf Leben und Tod kommen. Sein Herr hatte ja keinen Zweifel daran gelassen. So ganz egal war ihm die Gefahr, nun da sie näherrückte, nicht mehr. Er hörte sein Herz klopfen bei diesen Gedanken und zwang sich gewaltsam zur Ruhe. Es waren ja nur drei Mann, die zu überwältigen waren. Dietrich nahm es mit doppelt so vielen auf, wenn es sein mußte! Und auch der breitschultrige Giselbert führte eine treffliche Klinge. Nein, da konnte nichts schiefgehen - es durfte nichts schiefgehen! Aus der Tiefe des Waldes drang das Geräusch brechender Zweige an sein Ohr. Er sah, daß Dietrich und Giselbert, die mittlerweile einige Schritte weit in den Wald vorgedrungen waren, sich eilig hinter größeren Stämmen versteckten. Roland machte seinen Bogen schußbereit, denn das Knacken dürren Holzes wurde lauter. Es rührte unverkennbar von einigen Menschen mit Pferden her, die sich ihren Weg mühsam durch das Unterholz bahnten und langsam näherkamen. Bald gaben die Bäume, deren Laub sich großenteils noch nicht entfaltet hatte, den Blick auf die Ursache der Geräusche frei. Dietrich spähte zwischen den Ästen hindurch. Als erstes erblickte er einen der feindlichen Kriegsknechte, der mit seinem Pferd am Zügel vorausging. Hinter ihm kamen Gräfin Ida und ihre Zofe, ebenfalls zu Fuß und jeweils ihr Reittier am Zügel führend. Sie machten beide einen erschöpften Eindruck. Ihre langen Gewänder behinderten sie in dem Gestrüpp sehr und machten das Gehen mühsam. Neben ihnen ging ein weiterer Krieger, der den kleinen Bernhard auf dem Arm trug. Den Schluß bildete der dritte Kriegsknecht. Er führte zwei Pferde mit sich, wovon eines dem Mann vor ihm gehörte, und stapfte mit ihnen mühselig hinter der Gruppe her. Langsam näherte sich der Zug dem Standort von Dietrich und Giselbert. Beiden fiel auf, daß der vorderste der Kriegsknechte sich ständig umsah, als fürchte er, von hinten überrascht zu werden. Das bestärkte Dietrichs Vermutung, daß die Kerle nach wie vor der Meinung waren, die Verfolger im Rücken zu haben. Als der Führer des Trupps in Höhe der beiden versteckt lauernden Männer auftauchte, trat Dietrich ihm mit blanker Waffe in den Weg. Dies geschah so unvermutet, daß der Kriegsmann mit einem erschreckten Ausruf zurücktaumelte und die Zügel seines Rosses losließ. Er trug einen einfachen Lederhelm und eine lederne Brünne mit einem breiten Gürtel, an dem sein Schwert hing. Sein pausbäckiges Gesicht war von der Anstrengung gerötet. Der unvermutet vor ihm auftauchende geharnischte* Ritter schien ihm solches Entsetzen einzujagen, daß er wie in Trance nach seinem Schwert tastete. Hinter ihm kam der ganze Zug zum Stehen. *[Harnisch = Rüstung. Im Hochmittelalter ein Kettenhemd.] Mit einem Satz war Dietrich bei ihm und hielt ihm die Schwertspitze an die Kehle. „Laß deine Hand von der Waffe!“ Sein Opfer streckte hilflos beide Arme zur Seite und wagte nicht mehr, sich zu rühren. Währenddessen war Giselbert neben ihn getreten. „Entwaffne ihn!“ rief Dietrich ihm zu. Giselbert handelte sofort und riß dem feindlichen Krieger das Schwert aus der Scheide. „Auf den Bauch mit dir!“ fuhr Dietrich den Überrumpelten an. Der so plötzlich ohne Waffe dastehende Kriegsmann ließ sich gehorsam auf das vom letzten Herbst herrührende dürre Laub sinken, das wie ein brauner Teppich den Waldboden bedeckte. „Arme an die Seiten legen; Beine spreizen! Wage nicht, dich zu rühren!“ Der andere gehorchte wortlos. Giselbert stellte ihm seinen linken Fuß auf den Nacken, um den Gefangenen unten zu halten, und hielt gleichzeitig sein Schwert stoßbereit über den Rücken des vor ihm Liegenden. Alles lief in wenigen Augenblicken ab. Aber diese kurze Frist hatte dem zweiten Mann genügt, entsprechend zu reagieren. Er hatte den kleinen Bernhard abgesetzt, blitzschnell seinen Dolch gezogen und hielt jetzt die Gräfin von hinten gepackt, wobei er ihr die Klinge an die Kehle setzte. „Noch einen Schritt“, schrie er heiser, „und ich schneide ihr die Gurgel durch!“ Dietrich und Giselbert erstarrten. Dietrich faßte sich als erster. „Dafür wirst du hängen, du Verbrecher!“ rief er in ohnmächtiger Wut, wagte es aber nicht, sich zu rühren. Mittlerweile hatte der letzte Mann die Zügel der mitgeführten Pferde fahren lassen und eilte nach vorne, um seinem Kumpan Beistand zu leisten. Der kleine Bernhard stand hilflos zwischen seiner Mutter, die sich in der Gewalt der feindlichen Kriegsknechte befand, und den Rettern, die nicht einzugreifen wagten, um das Leben der Gräfin nicht zu gefährden. Die Zofe im Hintergrund hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund und stand mit angstgeweiteten Augen ebenfalls wie angewurzelt. Ohne sich von der Stelle zu rühren, rief Dietrich dem Kind der Gräfin zu: „Bernhard, komm hierher zu mir!“ „Der Knabe bleibt, wo er ist!“ schrie der Mann mit dem Dolch und drückte Ida die Klinge fester gegen die Kehle. „Und du, Harald“, rief er dem am Boden Liegenden zu, „steh auf und komm zu uns herüber.“ Ohne den Kopf zu wenden, befahl Dietrich: „Giselbert, wenn der Gefangene aufzustehen versucht, stoße ihm das Schwert zwischen die Rippen!“ „Ist Euch das Leben Eurer Herrin so wenig wert, Herr Ritter“, schrie der andere wutentbrannt, „daß ihr es leichtfertig aufs Spiel setzt?“
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